Antworten auf Gewalt, die nach der Trennung weitergeht

Bisher gab es keine belastbaren Daten zu den Erfahrungen gewaltbetroffener Mütter von Nachtrennungsgewalt und institutioneller Gewalt. Mit der ersten bundesweiten Umfrage von TERRE DES FEMMES zu „Nachtrennungsgewalt und institutionelle Gewalt bei Gewaltbetroffenheit in Umgangs- und Sorgerechtsangelegenheiten“ ändert sich dies nun.

Die Umfrage wurde online im Zeitraum vom 28. Februar bis zum 7. April 2024 auf der Umfrageplattform Lamapoll erhoben.

TERRE DES FEMMES geht den Fragen zu Machtgefällen in Partnerschaften mit Kindern nach und den Auswirkungen dieser Machtgefälle auf Mütter und Kinder nach einer Trennung.

Um die Erfahrungen von gewaltbetroffenen Müttern in Umgangs- und Sorgerechtsangelegenheiten erstmals quantitativ zu erheben, wurden 848 Teilnehmerinnen befragt. Sie alle sind gewaltbetroffene Mütter, die von ihrem Ex-Partner und Vater ihres Kindes/ihrer Kinder getrennt leben.

Der Fragebogen umfasste 30 Fragen. Es wurden Gewalterfahrungen durch den Vater des gemeinsamen Kindes abgefragt, sowie Gleichstellungsaspekte, Informationen zur Ausübung von Nachtrennungsgewalt im Kontext von Umgang- und Sorgerechtsangelegenheiten, das Erleben institutioneller Gewalt und verschiedene sozio-ökonomisch-demographische Variablen.

Zum Download TDF-Umfrage

Zu den freien Antworten von Müttern auf ihre Erfahrungen von Nachtrennungsgewalt

Diskriminierung von Müttern ist kein Mythos: Umfrage bestätigt Nachtrennungsgewalt.

DIe Aussage, das in Umgangs- und Sorgerechtsangelegenheiten, Gewalterfahrungen von Müttern ausgeblendet oder nicht hinreichend berücksichtigt werden, bestätigte sich in der Umfrage. Partnerschaftsgewalt, die von Müttern vorgetragen wird, so zeigte sich, wird in vielen Fällen sogar gegen diese ausgelegt.

Das bedeutet für die Betroffenen, dass sie zusätzlich institutioneller Gewalt ausgesetzt sind und dass die überwiegende Mehrheit der befragten Frauen im Kontakt mit Behörden und Gerichten keinen angemessenen Gewaltschutz für sich und ihre Kinder erfährt. Die Frauen teilten mit, dass ihre begründeten Ängste, Sorgen und erlebte Gewalt, nicht ernstgenommen wurden.

89 Prozent der befragten Mütter gaben an, diskriminierende Erfahrungen durch Institutionen gemacht zu haben. Am häufigsten wurde eine Diskriminierung bei Jugendämtern (68%) und Familiengerichten (67%) erlebt. 46 Prozent der Betroffenen erfuhren Diskriminierung durch Beratungsstellen und 36 Prozent durch ermittelnde Behörden.

Machtverhältnisse einblenden - Narrative ausblenden

Wenn Mütter, die bis zur Trennung keine Kindeswohlgefährdung darstellten, mit der Trennung plötzlich zu Täterinnen werden und ihnen vorgeworfen wird, ihr Kind zu gefährden, kommt es im schlimmsten Fall zur Inobhutnahme und Umplatzierung des Kindes. Diese Täter-Opfer-Umkehr erfolgt über frauenfeindliche Narrative und/oder die Diskreditierung der psychologischen Verfassung oder Erziehungsfähigkeit der Mutter und erfolgt vor allem dann, wenn die Mutter von der Gewalt ihres Ex-Partners und Vater ihrer Kinder berichtet. Es handelt sich dabei um eine besonders perfide Form institutioneller Gewalt.

Das am weitesten verbreitete Narrativ seitens der Institutionen ist die "Bindungsintoleranz" - der Vorwurf, dass die Mutter die Bindung zwischen Vater und Kind nicht zulassen kann. Dieses Narrativ geht zurück auf die Entfremdungstheorie (Parental Alienation Syndrome) von Richard Gardner und ist als unwissenschaftlich und fachlich nicht haltbar widerlegt, kommt aber weiterhin zur Anwendung.

Wunschvorstellung Vater-Kind-Beziehung

Natürlich wünschen sich viele, vor allem Mütter und Kinder, dass Väter im gleichen Maße Einsatz bei der Care-Arbeit zeigen wie die Mütter. Was in Sachen Mutter-Kind-Beziehung schon immer selbstverständlich ist, soll beim Vater ebenfalls Wirklichkeit werden. Allerdings wird dieser Wunsch von Vätern oft erst nach der Trennung laut. Endlich soll die Beziehung zum Kind mit allen Verantwortlichkeiten gelebt werden, etwas, das vorher zum größten Teil der Mutter überlassen war. Institutionen wollen dieses grundsätzlich positive Anliegen unterstützen und verdrängen dabei den Zeitpunkt des väterlichen Engagements: nach der Trennung.

Diese "Wunschvorstellungen" von Vaterschaft tragen dazu bei, dass Umgangsmodelle wie das sogenannte Wechselmodell auch dann installiert werden, wenn dies nicht die Aufgabenverteilung wie vor der Trennung abbildet. Zudem setzt das Wechselmodell eine sehr gute Kommunikation der Eltern voraus, da ein hoher Abstimmungsbedarf besteht. Doch da im (paritätischen) Wechselmodell kein Unterhalt anfällt, weil Kinder zu gleichen Teilen bei dem einen wie dem anderen Elternteil leben, ist es ein Anreiz für Väter, genau dieses Modell zu erstreiten. Mütter gehen leer aus, obwohl ihnen nach einer Trennung meist deutlich geringere finanzielle Mittel zur Verfügung stehen. Mit einer scheinbaren Gleichheit im Wechselmodell, wird so u.a. über finanzielle Ungleichheit von Müttern und Vätern hinweg getäuscht. Zudem hat das Wechselmodell in konflikthaften Elternbeziehungen häufig die Aufgabe, eine "gerechte Lösung" zu schaffen und setzt so ungewollt das Kind in die Verantwortung, diese "Gerechtigkeit" herzustellen.

Väter, die von Anfang an die Beziehung zu ihrem Kind nach dessen Bedürfnissen und Tagesstruktur gestalten, werden auch nach einer Trennung eine Umgangslösung anstreben, die für alle Beteiligten passt und die Vortrennungssituation anerkennt. Doch während viele Familien bereits heute versuchen, eine gerechtere Arbeitsteilung etc. zu leben, ist in anderen Familien Ungleichheit das bestimmende Prinzip der Partnerschaft. Schon vor der Trennung gab es ein signifikantes Machtgefälle und fand in verschiedensten Formen Kontrolle und Willkür statt. Eine ungleiche Verteilung der Aufgaben im Haushalt und bei der Versorgung der Kinder und die daraus resultierende finanzielle Abhängigkeit gehören dazu. Anzumerken ist noch, dass Sorgearbeit im Wechselmodell von Vätern dann häufig wieder an Frauen delegiert wird: eine neue Partnerin, die eigene Mutter oder bezahltes Personal.

Andere Befragung - gleiches Resultat: Mütter werden diskriminiert

Die Ergebnisse der TERRE DES FEMMES-Umfrage bestätigt auch die im April dieses Jahres veröffentlichte Kooperationsstudie der Stiftung Alltagsheldinnen und der Universität Bielefeld, die mit dem Mixed Method Design 131 Eltern befragt hat. Unter anderem wurde festgestellt, dass die Institutionen den Eltern-Kind-Beziehungen je nach Geschlecht unterschiedliche Bedeutung zusprachen: Eine Mutter-Kind-Beziehung werde als vorausgesetzt angesehen und eine Vater-Kind-Beziehung gelte es zu fördern. In mehr als jedem zweiten Fall geschieht das auch, wenn der Vater gewalttätig ist.

Das Tabuisieren von Machtverhältnissen führt dazu, dass die Erzählung von der Mutter, "die immer Recht bekommt", bis heute Verfahren am Familiengericht prägt. Die Realität spricht eine andere Sprache: Mütter können sich und ihre Kinder oft nicht schützen. Stattdessen kommen Mütter, die Gewalt vortragen, auf den Prüfstand. Getrennten Mütter wird misstraut. Getrennte Väter, auch wenn sie nachgewiesen gewalttätig sind, wird Mitleid entgegengebracht.

Trennungsperspektiven für gewaltbetroffene Mütter schaffen

Um Trennung möglich zu machen und nicht zu einem Zustand von Dauerstress, Angst und einem nicht endenden Teufelskreis der Gewalt, müssen Doppelstandards hinterfragt werden. Dafür fordern wir u.a.: Verpflichtende Schulungen und Weiterbildungsmaßnahmen für involvierte AkteurInnen bei Behörden und Gerichten zu häuslicher Gewalt (inklusive Nachtrennungsgewalt), ), u.a. zur Anwendung nicht-wissenschaftlicher Konzepte wie dem Parental Alienation Syndrom (Eltern-Kind-Entfremdung), Bindungsintoleranz etc.

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